Strikte Antragsbindung im Erbscheinverfahren: Was das Nachlassgericht nicht darf
14.04.2025
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.02.2025 – Aktenzeichen 8 W 6/25
Das Nachlassgericht darf nur über den konkret gestellten Erbscheinsantrag entscheiden – nicht über eine alte Version oder eine eigene Interpretation. Ein aktueller Fall zeigt: Wer das übersieht, riskiert die Aufhebung des Beschlusses. Warum präzise Anträge entscheidend sind – und Gerichte sich nicht über sie hinwegsetzen dürfen.
Im Zentrum des zu entscheidenden Falles steht das gemeinschaftliche Testament eines Ehepaares mit fünf Kindern. Dieses bestimmt zunächst, dass der überlebende Ehegatte Alleinerbe des Erstversterbenden sein sollte. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollten die leiblichen Kinder zu gleichen Teilen Schlusserben werden (sogenanntes Berliner Testament). Beim Tod der Mutter lebte nur noch eines dieser Kinder – der Beteiligte zu 1). Die übrigen vier Kinder waren vorverstorben und hatten zum Teil eigene Nachkommen (Beteiligte zu 2–5).
Der Beteiligte zu 1) beantragte zunächst am 16. März 2023 einen Erbschein, der ihn zu 1/3 und die Enkel zu je 1/6 als Erben ausweisen sollte. Wenig später, am 18. August 2023, änderte er seinen Antrag grundlegend: Nun beanspruchte er, Alleinerbe zu sein – gestützt auf die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments, das keine Ersatzerbenregelung enthalte. Dieser neue Antrag wurde notariell beurkundet und deutlich vom ursprünglichen Antrag abgegrenzt. Er war der einzige gültige Antrag im Verfahren.
Das Nachlassgericht entschied jedoch nicht über den zuletzt gestellten Antrag, sondern über eine Version, die es so nie gab: über eine inhaltlich nicht vollständig mit dem früheren Antrag übereinstimmende Antragsformulierung. Das Gericht formulierte im Tenor seines Beschlusses: „die Tatsachen, die zur Erteilung des am 18.03.2023 beantragten Erbscheins erforderlich sind, … für festgestellt erachtet“ und entschied daher, dass ein Erbschein auszustellen sei, der den Beteiligten zu 1) zu 1/3 und die übrigen Beteiligten zu je 1/6 als Erben auswies. Einen Antrag vom 18.03.2023 gab es jedoch nicht.
Der Beteiligte zu 1) legte gegen den fehlerhaften Beschluss Beschwerde beim Oberlandesgericht Zweibrücken ein – mit Erfolg.
Grundsatz im Erbscheinverfahren: Strikte Bindung an den Antrag
Was dabei missachtet wurde, ist ein zentraler Grundsatz im Erbscheinverfahren:
Das Nachlassgericht ist strikt an den gestellten Antrag gebunden.
Es darf weder über einen nicht (mehr) gestellten Antrag entscheiden, noch den Inhalt eines Antrags eigenständig verändern oder "ergänzen". So ist auch eine teilweise Feststellung unzulässig. Gibt es Zweifel an einem Antrag, muss dieser zurückgewiesen – nicht „angepasst“ – werden.
Das Beschwerdegericht hob die Entscheidung auf, da das Nachlassgericht seine Entscheidung nicht auf den tatsächlich gestellten Antrag gestützt hatte:
Einerseits hatte das Gericht nicht den letzten Antrag vom 18. August 2023 entschieden. Andererseits hatte es auch nicht den Antrag vom 16. März 2023 entschieden, sondern bezog sich in seinem Tenor auf einen Antrag vom 18. März 2023.
Die Sache wurde zur neuen Entscheidung zurückverwiesen. Nun muss das Nachlassgericht den gültigen, zuletzt gestellten Antrag des Beteiligten zu 1) prüfen und ausschließlich auf dessen Grundlage entscheiden.
Unsere Expertise
Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist, den Erbscheinsantrag präzise zu formulieren – inhaltlich und formal – da das Nachlassgericht selbst keine eigenen Korrekturen vornehmen darf.
Gerade in komplexen Konstellationen ist daher eine anwaltliche Beratung ratsam. Vertrauen Sie auf den Rat eines Fachanwalts. Es wäre beispielsweise empfehlenswert gewesen, im Testament eine ausdrückliche Regelung zur Anwachsung oder zur Ersatzerbschaft aufzunehmen, um spätere Unsicherheiten und Streitigkeiten bei Erstellung des Erbscheins zu vermeiden.
Steuer-Tipp
Ein Berliner Testament ist aus steuerlicher Sicht häufig keine optimale Lösung. In vielen Fällen kann es sinnvoll sein, dieses durch ein Supervermächtnis zu ergänzen oder alternativ ein sogenanntes Sylter Testament in Erwägung zu ziehen – je nach familiärer und vermögensrechtlicher Ausgangslage.
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