Der Soli bleibt! Nur wie lange noch?
27.03.2025
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.03.2025 – 2 BvR 1505/20
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem gestern verkündeten Urteil die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, die sich gegen das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 richtete. Der Solidaritätszuschlag (oder auch bekannt als „Soli“) wird aktuell auf höhere Einkommen sowie auf Kapitalerträge und körperschaftsteuerpflichtige Einkommen (GmbH, AG) erhoben, um den wiedervereinigungsbedingten finanziellen Mehrbedarf des Bundes ausgleichen zu können. Der Solidaritätszuschlag beträgt 5,5 % auf die jeweils zu zahlende Steuer (Einkommen-, Abgeltungs- bzw. Körperschaftsteuer). In seinem gestrigen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Erhebung des Solidaritätszuschlags auch noch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung als verfassungsgemäß angesehen. Zugleich hat das Gericht aber hervorgehoben, dass der Gesetzgeber bei einem evidenten Wegfall des finanziellen Mehrbedarfs diese Zusatzabgabe aufheben oder ihre Voraussetzungen anpassen müsste. Insoweit treffe den Gesetzgeber künftig eine aufgabenbezogene Benennungspflicht und eine Beobachtungsobliegenheit.
Verfassungsbeschwerde
Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Verfassungsbeschwerde von sechs Bundestagsabgeordneten der FDP zu entscheiden. Die Beschwerdeführer wendeten sich bezüglich des Steuerjahres 2020 gegen die unverändert fortgeführte Solidaritätszuschlagspflicht und bezüglich der folgenden Steuerjahre (ab 2021) gegen den nur teilweisen Abbau des Solidaritätszuschlags. Der Solidaritätszuschlag wurde jeweils auf die Entschädigungen und Amtszulagen, die sie seinerzeit als Mitglieder des Deutschen Bundestages erhielten, erhoben.
Ihre Verfassungsbeschwerde stützten sie auf die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsfreiheit). Zudem verletzen die erhobenen Solidaritätszuschläge den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da nicht ersichtlich sei, weshalb nur ein (geringer) Teil der Bevölkerung mit dieser Ergänzungsabgabe belastet sei. Es könne daher nicht mehr von einem solidarischen finanziellen Opfer aller Bevölkerungsgruppen, wie ihn der ursprüngliche Gesetzgeber 1995 im Blick hatte, die Rede sein.
Was ist der Soli und wer muss ihn zahlen?
Der Solidaritätszuschlag ist eine in der Verfassung verankerte Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) und wurde im Jahr 1995 eingeführt, um den finanziellen Mehrbedarf, der aus deutschen Wiedervereinigung resultierte, abdecken zu können. Ursprünglich galt der Solidaritätszuschlag 1995 für alle Einkommensgruppen und berücksichtigte nur geringe Freigrenzen, sodass der Großteil der Bevölkerung diesen zusätzlich zur Einkommensteuer leisten musste.
Ferner wird der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Körperschaftsteuer erhoben, sodass körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen wie beispielsweise die GmbH oder AG diese leisten müssen. Zudem unterliegen auch Kapitalerträge dem Solidaritätszuschlag.
Der Solidaritätszuschlag beträgt 5,5 % auf die Einkommen-, Abgeltungs- oder Körperschaftsteuer.
Seit dem Veranlagungszeitraum (Steuerjahr) 2021 wird der Solidaritätszuschlag nur auf höhere Einkommensgruppen erhoben, – aktuell für das Steuerjahr 2025 ab einem zu versteuernden Einkommen von rund 73.500 € – sodass nur ca. 10 % der Bevölkerung diese Zusatzabgabe auf ihre Einkommensteuer leisten müssen.
Das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag betrug daher in 2020 noch 18,7 Milliarden Euro und seit 2021 rund 13 Milliarden Euro. Die Erträge stehen allein dem Bund zu.
Kernaussagen des Karlsruher Urteils
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Ergänzungsabgabe nicht voraussetzungslos erhoben werden kann. Es muss ein entsprechender begründbarer finanzieller Mehrbedarf bestehen. Der finanzielle Mehrbedarf muss sich zudem auf eine bestimmte Aufgabe zurückführen lassen. Aktuell besteht die Aufgabe darin, die Kosten aus der deutschen Wiedervereinigung zu bewältigen. Der Gesetzgeber muss diese Aufgabe jedoch konkret benennen. Andernfalls könne der Bund jede Finanzierungslücke dadurch schließen, dass er eine Ergänzungsabgabe erhebt. Hieraus leitet sich eine Benennungspflicht des Gesetzgebers ab.
Hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit dieser Mehrbedarf fortbestehe, sei dem Gesetzgeber eine weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die fortgeführte Erhebung des Solidaritätszuschlags sei nur dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich die zugrunde gelegten tatsächlichen Bedingungen als „evident nicht mehr realitätsgerecht erweisen“.
Mit anderen Worten: der Gesetzgeber ist dazu angehalten, seine ursprünglichen Erwägungen mit den tatsächlichen Verhältnissen abzugleichen. Nur wenn diese offensichtlich nicht übereinstimmen, wäre der weiterhin erhobene Solidaritätszuschlag verfassungswidrig. Karlsruhe bezeichnet dies als Beobachtungsobliegenheit des Gesetzgebers.
Karlsruhe konnte nicht feststellen, dass der Mehrbedarf des Bundes, der auf den Beitritt der neuen Länder zum Bundesgebiet zurückgeht, entfallen ist. Dieser Mehrbedarf sei zwar verringert, jedoch nicht offensichtlich weggefallen.
Zur Begründung verweist das Bundesverfassungsgericht auf ein eingeholtes Wirtschaftsgutachten, wonach selbst 30 Jahre nach der Wiedervereinigung trotz positiver Entwicklungen noch strukturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland verbleiben. In bestimmten Bereichen gebe es danach auch noch bis 2030 wiedervereinigungsbedingte Belastungen des Bundeshaushalts. In der mündlichen Verhandlung hatte der Zweite Senat mehrere Ökonomen angehört, die zur Frage des Mehrbedarfs keine einheitliche Bewertung abgaben. Daher sei der von den Beschwerdeführern angeführte Wegfall des Mehrbedarfs jedenfalls nicht evident und daher habe der Gesetzgeber auch nicht von der weiteren Erhebung des Solidaritätszuschlags Abstand nehmen müssen.
Entscheidung 7 zu 1
Interessanterweise erfolgte die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht einheitlich. Eine Richterin hat in einem sogenannten Sondervotum der Einschätzung ihrer Kolleginnen und Kollegen widersprochen.
Nach ihrer Auffassung schaffe dieses Urteil verfassungsrechtliche Unsicherheit.
Es sei nicht mit der aus Art. 14 Abs. 1 und 2 GG abgeleiteten Eigentumsgarantie in Einklang zu bringen. Zudem verkürze der Senat den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum dadurch, dass er die Ergänzungsabgabe an materielle Voraussetzungen binde und dem Bundestag eine Benennungspflicht und Beobachtungsobliegenheit aufbürdet.
Auf die Spitze treibe es der Senat, indem er seine Bereitschaft zeige, nun selbst in die Finanzpolitik einzugreifen. Karlsruhe entscheide künftig darüber, ob der vom Bundestag zur Rechtfertigung der Ergänzungsabgabe anzugebende aufgabenbezogene Mehraufwand tatsächlich und in Höhe des durch die Ergänzungsabgabe erzielten Steuervolumens besteht und nicht evident entfallen ist. Dies bezeichnet die dissentierende Richterin als Kassationsrisiko für den Gesetzgeber.
Fazit
Mit seinem aktuellen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zwei neue Aufgaben für die bestehende oder eventuell künftige Ergänzungsabgaben gestellt.
Den Bundestag trifft künftig eine aufgabenbezogene Benennungspflicht, d. h. er muss die Aufgabe konkret bezeichnen, für welche die Ergänzungsabgabe erforderlich ist, um den finanziellen Mehrbedarf abdecken zu können.
Zudem etabliert Karlsruhe eine Beobachtungsobliegenheit. Der Bundestag muss in regelmäßigen Abständen abgleichen, ob der finanzielle Mehrbedarf aufgrund geänderter tatsächlicher Verhältnisse – beispielsweise strukturelle Angleichung der wirtschaftlichen Bedingungen in Ost- und Westdeutschland – noch fortbesteht. Nur wenn der finanzielle Mehrbedarf offensichtlich weggefallen sein sollte, wäre die weitere Erhebung der Ergänzungsabgabe verfassungswidrig.
Auf Grundlage des vom Bundesverfassungsgerichts eingeholten Wirtschaftsgutachtens könnte der finanzielle Mehrbedarf jedoch ab 2030 entfallen. Für (bestimmte) Steuerpflichtige könnte daher die leise Hoffnung bestehen, dass der Bund in fünf bis sieben Jahren den Solidaritätszuschlag nicht mehr erheben könnte bzw. dürfte.
Die gute Nachricht für die aktuellen Koalitionäre ist jedenfalls, dass dieser Teil des Steueraufkommens zumindest bis zum (voraussichtlich) regulären Ende ihrer Legislatur im Frühjahr 2029 gesichert ist.